Interview: Wer war Theodor Spitta?

Anspruch und Wirklichkeit der Bremischen Landesverfassung – 70 Jahre nach dem Entwurf des liberalen Bürgermeisters Theodor Spitta – 16. August 2017 im Rathaus zu Bremen
Nachricht30.08.2017Anika Stünkel
Spitta_Büste_Lahmann

Interview mit Horst-Jürgen Lahmann, Vorstandsvorsitzender der Liberalen Gesellschaft Bremen e.V., anlässlich der Veranstaltung "Anspruch und Wirklichkeit der Bremischen Landesverfassung – 70 Jahre nach dem Entwurf des liberalen Bürgermeisters Theodor Spitta" am 16. August 2017 im Rathaus zu Bremen

Interview durchgeführt von: Silke Hellwig, Weser Kurier, Chefredaktion (August 2017)

Herr Lahmann, würden Sie um eine Kurzbeschreibung von Theodor Spitta gebeten, so wie Sie ihn persönlich oder durch diverse Literatur kennengelernt haben, wie würde sie ausfallen?
Horst-Jürgen Lahmann: Ich habe Theodor Spitta noch kennengelernt beziehungsweise getroffen, mehr oder weniger zufällig, wie es in Bremen üblich ist. Er war der bedeutendste bremische Verfassungsjurist und schrieb gerade an seinem Kommentar zu seiner Verfassung. Er gründete mehrere liberale Parteien mit, auch die FDP, deren Mitglied ich damals noch nicht war. Er hatte großes Verhandlungsgeschick. Er war ein begnadeter Mittler und Makler. Er hatte auch großartige Fähigkeiten, sich der deutschen Sprache zu bedienen. Das sieht man an der Verfassung. Sie ist vorbildlich, klar, eindeutig und für jedermann verständlich. Das war ihm wichtig.

War Spitta überhaupt Liberaler durch und durch, sofern man das in den ersten Jahren nach dem Krieg sein konnte oder wollte?
Das kann man schon sagen, doch vor allem war er Bremer. Er war ein glühender Verfechter der bremischen Selbstständigkeit und wollte ein größeres Bremen. Er hat aber – schon fast visionär – vor allem die Kernthemen bearbeitet, die noch heute Kernthemen der Liberalen sind: die Fragen der Grundrechte, der Rechtsstaatlichkeit, der Wirtschaftspolitik, der Kultur und der Bildung.

Es heißt allerdings, dass die Verfassung eindeutig eine sozialdemokratische Handschrift trägt.
Theodor Spitta hat die Verfassung weder alleine erarbeitet, noch alleine beschließen können. Der Zeitdruck war groß, die Parteien waren sich keineswegs einig, es ging nicht ohne Kompromisse. Außerdem war Wilhelm Kaisen ein starker Verhandlungspartner, und beide haben sich sehr gut verstanden. Dass in den Verfassungen dieser Zeit, auch denen in Hessen und Bayern, beispielsweise viel von Sozialisierung die Rede ist, war eine Reaktion auf die Kriegswirtschaft der Nationalsozialisten. Ich glaube, dass die bremische Verfassung von liberalem Einfluss zeugt.

Wird Theodor Spitta in Bremen heute die Anerkennung zuteil, die er verdient?
Bei Kennern schon. Allerdings wird die Geschichte Bremens in erster Linie über die sozialdemokratischen Bürgermeister definiert. Dabei muss man anerkennen, dass Spittas Verfassung 70 Jahre gehalten hat, auch wenn manches aus seiner Ideenwelt inzwischen korrigiert wurde. Die Einschränkung des Freihandels in den bremischen Häfen beispielsweise – durch die Sperrung für Atomtransporte – hätte er niemals gutgeheißen. Der vorgeschriebene Religionsunterricht wird in Bremen nicht mehr erteilt. Das halte ich für verfassungswidrig.

Wenn man Fotos von Theodor Spitta betrachtet, hat man den Eindruck, dass er ein ausgesprochen ernster Mensch war.
Ja, er war ein sehr ernsthafter Mann des christlichen Abendlandes. Ich habe ihm einmal geholfen, als er sich an der schweren Rathaustür abmühte, da hat er gelächelt. Damals ahnte keiner von uns, welches Schicksal ihn an dieser Tür noch ereilen sollte.